„Unsichtbar!“ Von kindlichem Glauben und elterlicher Verantwortung
Große runde Kinderaugen schauen mich an. Wir sind auf dem Weg zum Rhein, wollen mit der Fähre fahren und am anderen Ufer ein Eis essen. Kurz vor der Anlegestelle wird Leopold, unser Fünfjähriger, ganz zappelig und unruhig. Dann bleibt er stehen und will wissen: „Fahren wir wirklich mit der Fähre? Mit einer richtigen Fähre?“ Ich wundere mich. Wieso ist das jetzt so spannend? In unserem letzten Urlaub sind wir fast täglich mit kleinen Booten von Insel zu Insel geschippert. Woher kommt also jetzt diese Aufregung?
„Ja, gleich sind wir da und dann nehmen wir die Fähre, um auf die andere Seite zu kommen.“ „Geht das echt? Cool! Obwohl die Atmosphäre unsichtbar ist? Fahren wir gleich mit einem unsichtbaren Boot, Mama?“ Jetzt verstehe ich, woher die Aufregung kommt. Unser kleiner Raumfahrtexperte muss irgendetwas über die Atmosphäre aufgeschnappt haben, die ja bekanntermaßen unsichtbar ist. Nein, unsere Fähre ist nicht unsichtbar, erkläre ich ihm.
Erstaunlicher Reichtum
Noch Tage später muss ich an diese Situation denken. Dieses kleine Kind hat es für einen kurzen Moment für möglich gehalten, dass wir gleich ein unsichtbares Schiff betreten. Einfach nur, um eben mal ein Eis essen zu gehen. Was für ein Reichtum an Fantasie und Möglichkeiten in so einem Kinderhirn möglich und lebendig ist! Schönes und Wundersames, Verrücktes und Beängstigendes und viel Wahres steckt in diesen Köpfen. „Fahren wir gleich mit einem unsichtbaren Boot?“ „Wenn man das Schwimmbad mit Eiscreme füllen würde, müsste ich dann tausend Jahre essen, bis es leer ist?“ „Wieso sagst du, dass ich keine Angst vor einem Löwenkopf haben muss, der plötzlich durch die Wand kommt? Schließlich erzählst du ja auch, dass Jesus durch Wände gehen konnte.“
Die Welt mit Kinderaugen betrachten zu dürfen, kann auch bereichernd für uns sein und uns in unserer Erzählweise herausfordern und hinterfragen. Die Frage nach dem Unsichtbaren, Übernatürlichen, nach den Engeln, nach Jesu Wundern und auch nach der Art, wie er Dinge tat, stellen wir uns die noch? Wieso bin ich mir so sicher, dass die Atmosphäre unsichtbar ist und wieso glaube ich, dass Jesus zwar durch Wände gehen kann, sonst aber nichts?
Geschenk und Verantwortung
Die Kinder hängen an unseren Lippen, wenn wir ihnen Geschichten erzählen. Darüber kann man so viel vermitteln. In ihren Köpfen ist noch alles möglich. Was für ein Geschenk, diese kleinen Kinder mit Gutem zu füllen. Aber auch was für eine Verantwortung. Die Kinder hören mit Kinderohren. Alles Übernatürliche, alles Neue und Fantastische wird deutlich stärker aufgenommen. Aber auch alles, was ihnen Angst macht, bleibt hängen. Wir können nur hoffen und beten, dass eines am Stärksten in ihren Herzen haften bleibt und sie auch dann noch begleitet, wenn das Leben sie ernüchtert hat: der Eindruck von Gottes liebendem Wesen.
Von Maren Seitzinger
Dieser Text ist zuerst in der Zeitschrift „Kleine Leute – Großer Gott“ erschienen. „Kleine Leute – Großer Gott“ ist ein Materialheft für alle Leiter und Mitarbeiter, die mit Kindern im Kindergarten- und Vorschulalter arbeiten.