Wie Kinder trauern. Oder auch nicht.

Trauer kommt in Wellen. Bei Kindern und Erwachsenen. Sie überrollt einen ganz überraschend. Wenn es Gerüche, Geräusche, Bilder oder Musik gibt, die einen erinnern. An den Menschen, den man geliebt hat, und der jetzt tot ist. Diese Erinnerungen lösen Gefühle aus. Nicht nur Traurigkeit. Auch Wut. Weil der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Ungläubigkeit. Weil diese Lücke so unbegreiflich ist. Eine Mischung aus all dem. Es schmeißt uns um, und wir erkennen uns selbst oft nicht wieder, in dieser Welle. Wir versuchen, Orientierung zu erlangen, wieder neuen Boden unter den Füßen zu bekommen.

Kindern geht es genauso. Aber ihre Wellen sind kleiner und schneller. Eher wie Pfützen. Sie springen in die Trauer hinein. Fühlen. Fragen. Und springen gleich wieder heraus. Deshalb sprechen sie oft ohne Vorwarnung über den Tod. Was Erwachsene oft überrumpelt. Und kaum hat man sich innerlich auf das Thema eingestellt, ist das Kind schon wieder raus gehüpft aus der Trauer.

Trauern dürfen im eigenen Stil

Wie ein Kind trauert, ist auch von der Persönlichkeit abhängig. Ein introvertiertes Kind macht mehr mit sich selbst aus und sucht seine Ausdrucksmöglichkeit in leisen Aktionen wie Malen oder Musik. Ein extrovertiertes Kind erzählt es jedem, egal, ob man es hören will. Zumindest wenn man es lässt. Das wiederum hängt mit der Familienstruktur zusammen. Jede Familie hat eigene unausgesprochene Regeln und Werte. Und die prägen auch die Trauer.

Genauso wie bei Erwachsenen gibt es keine Norm, wie ein Kind trauert. Es gibt kein gut oder schlecht. Wichtig ist nur, dass ein Kind überhaupt die Möglichkeit hat, seiner Trauer Ausdruck zu verleihen.

Scheinbar unsichtbare Trauer

Andererseits können Erwachsene keine Tränenausbrüche von Kindern erwarten. Trauer ist auch immer bindungsabhängig. Ich hatte etwa zu einer Oma eine enge Beziehung. Als sie gestorben ist, war ich erschüttert. Nachdem meine andere Oma starb, war ich zwar traurig, aber längst nicht so betroffen. Weil wir nicht so stark miteinander verbunden waren. Wie tief der Tod ein Kind trifft, hängt immer damit zusammen, wie nahe es der Person stand.

„Warum weinst du denn gar nicht? Dein Papa ist doch gestorben!“, hätte man meine Tochter vor fast zwei Jahren fragen können. Denn sie hat kaum eine Träne vergossen, nachdem ihr Vater Suizid begangen hat. Das lag allerdings nicht an der fehlenden Bindung zu ihm, sondern an ihrem Alter. Sie war erst drei. Nach dem Tod ihres Vaters hat sie weiter gespielt wie immer. Aber sie hat schlecht geschlafen. Und ihr tat der Fuß weh. Weil Kinder in diesem Alter ihre Gefühle noch nicht gut benennen können, drücken sie diese anders aus. Durch den Körper. Oder durch Malen.

Heute, als Fünfjährige, fragt sie gezielt, was ein Suizid eigentlich ist. Je nach Alter und Entwicklungsstand wird immer wieder neu getrauert und dem Tod ein anderes Gesicht gegeben. Heute kann sie sagen, dass ihr bei der Bestattung ihres Papas innerlich so kalt war. Dass sie in ihrer Seele gefroren hat. Heute, nachdem ihr Opa gestorben ist, kann sie sagen: „Ich bin traurig, dass Opa nicht mehr da ist. Aber auch wütend. Der hätte mal besser nicht so viel geraucht!“

Aktiv trauern

Damit Kinder sich trauen zu trauern, müssen auch wir Erwachsene unseren Weg mit der Trauer finden. Es ist nicht immer einfach, sowohl den eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und die des Kindes zu respektieren. Ich habe meine Trauer um meinen Mann meiner Tochter gegenüber nicht versteckt. Aber ich habe ihr auch nicht alles zugemutet. Wenn ich gespürt habe, da kommt jetzt nicht nur eine Trauerwelle, sondern ein ganzer Tsunami, habe ich sie mit etwas beschäftigt oder einer sicheren Person anvertraut. Nach so einem Trauer-Tsunami fühlt man sich wie erschlagen. Wenn dann meine Tochter ausgerechnet noch einen Brief an ihren toten Papa schreiben möchte, geht das ganz schön an die Substanz. Doch es lohnt sich. Weil wir mit jeder Welle dem Festland näher kommen.

Wir können auch mit der Welle surfen. Trauer aktiv gestalten. Meine Tochter hat die Urne für die Seebestattung ihres Papas verziert. Als jetzt ihr Opa gestorben ist, war es ihre Idee, drei Blumen für seine Waldbestattung auszusuchen: „Eine rote für die Liebe, eine weiße für die Seele und eine gelbe für die Sonne.“ Kreativität hilft beim Verarbeiten. Und die schönen Erinnerungen zu bewahren und zu feiern. Wir haben zum Beispiel einen Koffer mit Gegenständen und Fotos von ihrem Vater, den sie jederzeit ansehen und neu füllen kann.

Einen neuen Platz finden

Nicht nur in unserem Leben verändert sich etwas, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Auch der Verstorbene braucht einen neuen Platz. Einen Ort, wo wir ihn gut aufgehoben wissen. Der christliche Glaube bietet uns die Möglichkeit, ihm eine himmlische Heimat zu geben. Zu wissen, dass geliebte Menschen nun nicht mehr leiden und es ihnen in der unmittelbaren Nähe Gottes gutgeht, hilft beim Loslassen und der Neuausrichtung des eigenen Lebens.

Kinder haben vom Himmel oft eine ganz eigene Vorstellung. Meine Tochter hatte je nach Alter unterschiedliche Ansichten, wo Papa Markus jetzt ist. Mal war es eine Wolke, dann hat er das rote Auto mitgenommen in den Himmel, aktuell feiert er mit Opa und anderen Verstorbenen eine Party, bei der sie essen und trinken können, ohne dass sie davon krank werden. Ihr aus theologischen Überlegungen diese Vorstellung zu rauben oder sie zu korrigieren, würde sie sehr verunsichern. Wer weiß schließlich auch, wie es wirklich im Himmel ist?

Nicole Schenderlein ist Journalistin und Projektleiterin von „Blattwenden“ – ein Angebot für Suizidhinterbliebene: www.green-woman.de

Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift Family erschienen.

Buchtipps:

Martina Baumbach und Verena Körting: Nie mehr Wolkengucken mit Opa? (Gabriel) – ein Bilderbuch für kleinere Kinder mit Tipps für Eltern im Anhang

 

Gabriele Schmidt-Klering: Mit Kindern gemeinsam trauern (Reinhardt) – ein kompakter und gut verständlicher Ratgeber für Erwachsene

 

Wolf Erlbruch: Ente, Tod und Tulpe (Kunstmann) – kleines Bilderbuch für Kinder und Erwachsene, das die Angst vor dem Tod nimmt